Paleo-Ernährung ist ohne wissenschaftlichen Beleg
In den Reihen der Ernährungstrends sind auch immer wieder ein paar ungewöhnliche Ideen vertreten. Darunter zählt auch die Paleo-Ernährung. Die Ernährung, wie sie unsere Vorfahren in der Steinzeit praktizierten, hat mit der propagierten Paleo-Ernährung wenig gemein. Nicht nur aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sind somit an diesem Trend Zweifel angebracht, sondern auch aus der historisch-archäologischen Perspektive.
Was ist die Paleo-Ernährung?
Ausgangspunkt bei der Paleo-Ernährung ist ein Verzicht auf modern erzeugte Lebensmittel, wie es die heutige Landwirtschaft erlaubt. Diese Lebensmittel machen angeblich krank und stehen im Widerspruch zu den biologischen Voraussetzungen des Menschen, welche Nahrungsmittel er zu sich nehmen und gesund verdauen kann. Alternativ ist Ernährung erstrebenswert, wie sie vor gut 10.000 Jahren – in der Steinzeit – vorherrschte. Das garantiert eine gesunde Lebensweise.
Was beinhaltet diese Ernährung nun genau? Die Paleo-Ernährung besteht in erster Linie aus Fleisch, gern rot und blutig. Dazu gibt es etwas Obst und Gemüse sowie Nüsse. Getreide, Hülsenfrüchte und Milchprodukte gehören nicht auf den Speiseplan. Die Paleo-Ernährung beruft sich dabei auf Erkenntnisse der Anthropologie, Ernährungswissenschaft und Evolutionsmedizin. Allerdings gehen die Befürworter der Paleo-Ernährung hier sehr selektiv vor und auch einige Unwahrheiten werden gern verbreitet.
Unsere Vorfahren ernährten sich kaum von tierischen Produkten
Das beginnt beim wesentlichen Bestandteil der Paleo-Ernährung: große Mengen an Fleisch. Dabei haben sich unsere Vorfahren aus der Steinzeit – auf die sich die Befürworter der Paleo-Ernährung berufen – kaum tierische Kost zu sich genommen. Die Ernährung und Gesundheit steinzeitlicher Menschen kann die Archäologie heute sehr gut nachvollziehen. Die biomolekulare Analyse gefundenen Zahnsteins aus dieser Zeit lassen viele Rückschlüsse in Sachen Ernährung zu.
Unsere Vorfahren bevorzugten pflanzliche Nahrung, auch wenn der Mensch ein Allesfresser ist. Das hat auch einen ganz pragmatischen Hintergrund: Jagen ist anstrengender als Sammeln. Nur wenn es klimatische Umstände erforderten, fand sich auch tierische Kost auf dem Speiseplan der Steinzeit-Menschen. Leicht auffindbare tierische Kost wie Insekten, Reptilien, Nagetiere und Aas war dabei sicherlich zuerst eine Mahlzeit – Großwildjagd fand erst dann statt, wenn der Hunger anders nicht mehr gestillt werden konnte. Dass blutiges, rotes Fleisch die Hauptnahrungsquelle in der Steinzeit war, ist somit schlicht falsch.
Der Mensch ist biologisch kein alleiniger Fleischfresser
Die Paleo-Ernährung setzt außerdem die Annahme, dass der Mensch in erster Linie ein Fleischfresser ist. Es ist somit die natürliche Ernährungsweise, viel Fleisch zu essen. Aus biologischer Sicht ist das jedoch nicht gegeben. Der Mensch besitzt keine besondere Anpassung an den Fleischkonsum – weder aus physiologischer, anatomischer oder genetischer Sicht. Der menschliche Körper verwertet Fleisch nicht besser als andere Nahrungsmittel.
Tatsächlich kann der Mensch viele wichtige Nährstoffe besser aus pflanzlicher Kost gewinnen. Für einige Nährstoffe ist pflanzliche Kost gar unabdingbar. Ein gutes Beispiel ist Vitamin C, dass der menschliche Körper nicht alleine produzieren kann. Es ist fast ausschließlich nur in pflanzlicher Kost enthalten und kann auch nur darüber aufgenommen werden.
Es gibt weitere Gründe, warum der Mensch nicht als Fleischfresser gelten kann. Im Vergleich zu Fleischfressern besitzt der Mensch eine andere Darmflora und der Verdauungstrakt ist auch bedeutend länger als er bei reinem Fleischkonsum sein müsste. Der Verdauungstrakt ist daher so lang, weil pflanzliche Nahrung länger im Körper verdaut werden muss. Zudem weist das menschliche Gebiss mit den relativ großen Backenzähnen darauf hin, dass der Mensch pflanzliches Gewebe zerkleinern können muss. Ein Fleischfresser würde ein gänzlich anderes Gebiss aufweisen.
In der Steinzeit wurde Getreide zu sich genommen
Paleo-Ernährung schließt Getreide und Hülsenfrüchte aus, dass sie angeblich nicht zum Speiseplan steinzeitlicher Menschen gehörten. Das ist jedoch ebenfalls ein Trugschluss. Zwar gab es den landwirtschaftlichen Anbau zu der Zeit noch nicht, Werkzeugfunde lassen aber darauf schließen, dass zum Beispiel bereits vor 30.000 Jahren Getreide gemahlen wurde. Weiterhin zeigen Untersuchungen des Zahnsteins menschlicher Schädelfunde, dass Menschen in der Steinzeit vor allem pflanzliche Kost zu sich nahmen – dazu zählen auch Getreide (vor allem Gerste) sowie Hülsenfrüchte.
Paleo-Ernährung und ihre Beispiel-Lebensmittel
Bei der Paleo-Ernährung sind somit bereits zwei wesentliche Argumente widerlegt, doch auch die von vielen Befürwortern angebrachten Beispiele an Paleo-Lebensmitteln sind zu hinterfragen. Der wesentliche Kritikpunkt hier ist, dass nahezu jedes Beispiel eines Paleo-Lebensmittels heute nur als Ergebnis eines gezüchteten Produkts vorliegt. In einer Wildform gibt es diese Nahrungsmittel heute kaum noch oder gar nicht mehr.
Dafür gibt es reichlich Beispiele. Die Banane ist eine gezüchtete Pflanze, die es in einer Wildform gar nicht mehr gibt. Tatsächlich ist die Banane ein Paradebeispiel für ein gezüchtetes Agrarprodukt – die heutige Banane hat mit einer wild wachsenden Frucht rein gar nichts mehr zu tun. Beim Salat ist der gezüchtete Einfluss sogar noch größer. Der Salatvorfahr – der wilde Lattich – ist so bitter, dass er kaum genießbar ist. Also wurde er entsprechend gezüchtet, um ihn essbarer zu machen. Weitere Beispiele sind Karotten, Brokkoli oder Blumenkohl. Auch andere Paleo-Lebensmittel standen in der Steinzeit kaum oder nicht zur Verfügung. Olivenöl ließ sich zum Beispiel noch gar nicht herstellen.
Die tatsächliche Ernährung in der Steinzeit
Die Paleo-Ernährung hat somit nichts mit der tatsächlichen Ernährung zu tun, wie sie in der Steinzeit betrieben wurde. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Ernährung der steinzeitlichen Menschen von vielen Faktoren abhing, die je nach Region völlig unterschiedlichen Einfluss hatten. Jahreszeit, Klima und die Besiedlung sind nur ein paar dieser Faktoren. Steinzeitliche Ernährung war in erster Linie eine Frage der Verfügbarkeit. Die Ernährung hat sich grundsätzlich dem Angebot angepasst – und Fleisch war selten verfügbar und oft umständlich zu bekommen.
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